In Stuttgart versagen Politik und Polizei

Informationslücken

Die zahlreichen Berichte der letzten Tage machen es schwer, einen Überblick über die Geschehnisse bei den Demonstrationen gegen das Projekt Stuttgart 21 zu bekommen, wenn man nicht selbst vor Ort war. Das liegt zum einen daran, dass hier zwei Lager aufeinander prallen, die um die Deutungshoheit ringen und entsprechend unterschiedliche Wahrheiten über die Vorkommnisse verbreiten. Zum anderen bin ich überrascht, dass sich die Medien anscheinend in relativ starkem Maße aus der unmittelbaren Berichterstattung heraushalten. Statt massiv mit eigenen Kamerateams flächendeckend vor Ort zu sein, verlassen sie sich offenbar auf einzelne kleinere Kamerateams und Augenzeugenberichte, die natürlich weniger glaubwürdig sind, als handfestes Bildmaterial. Doch bereits diese Aufnahmen zeigten teilweise erschreckendes Verhalten zumindest einzelner Polizeibeamten. In den Videos von Demonstranten und Aktivisten hingegen ist meist nur ein Eindruck zu entnehmen, wie die Stimmung vor Ort war.

Unverhältnismäßige Gewalt

Während viele Medien und Blogs über die zahlreichen Verletzten berichten, verweist die FAZ insbesondere auf die Gewalt gegen Polizeibeamte. Hier wird bereits ein gewisses Lagerdenken deutlich. Ich glaube tatsächlich der Darstellung der FAZ, dass einzelne Demonstranten Kastanien und möglicherweise auch Flaschen auf Polizisten geworfen haben. Ob das vor oder nach dem Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfer war, weiß ich nicht, habe da aber eine Vermutung.  Auf der anderen Seite stehen jedoch hunderte von Verletzten Demonstranten, die man bestenfalls mit viel bösem Willen noch in die Ecke „verrückte Öko-Spinner“ stecken kann, aber selbst das Innenministerium musste Falschinformationen eingestehen, aus den Demonstranten einen gewaltbereiten Block zu machen. Allein die FAZ freut sich über wenigstens einige „vermummte Demonstranten“, um gleich im nächsten Satz vom Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei zu berichten.

Dass es unter 4000 Demonstranten einzelne geben mag, die mit Kastanien oder auch Flaschen werfen ist nicht verwunderlich. Ich halte eine gewisse Wut und Frustration für nachvollziehbar, will aber Gewalt generell nicht entschuldigen. Absolut unprofessionell ist jedoch, alle Demonstranten in Sippenhaft zu nehmen. Ich führe ungerne das typische „darunter waren zahlreiche Kinder, Frauen und Alte“ an, weil es so klingt, als wären junge Männer prinzipiell gewaltbereit und auf sie dürfe man schon mal etwas einprügeln.

Eine Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten erscheint nach der Räumung dringender denn je. Darüber hinaus sind die Informationen von Polizei und Innenenminister dringend zu überarbeiten. Diese sollen ihr eigenes Überwachungs- und Informationsmaterial herausgeben. Denn die Polizei hat neutral zu sein und nicht sich selbst oder die Politik zu schützen. Hinzu kommt, dass die Erstellung des Materials vom Steuerzahler bezahlt wurde.

Unverhältnismäßige Rechthaberei

Warum die Pläne für Stuttgart 21 nun so schnell durchgedrückt werden müssen, obwohl sich erkennbar breiter Widerstand regt ist ein typisches Versagen der Politik. Sie kann zwar zurecht darauf verweisen, dass sich ein entsprechender Widerstand in der Planungsphase hätte zeigen sollen. Sie kann zurecht darauf verweisen, dass Politik handlungsfähig sein muss, also Verträge unterzeichnen und gefasste Pläne durchsetzen. Nur vergisst sie dabei, dass das nicht Politik ist, sondern Bürokratie, wenn sie damit gegen den Bürgerwillen handelt. Eine politische Entscheidung muss nicht durchgesetzt werden, weil sie getroffen wurde, sondern weil sie richtig ist für den Staat und die Bürger. Wenn im Laufe des Prozesses, wenn auch spät, massive Zweifel aufkommen, müssen diese angemessen berücksichtigt werden.

Die Politik muss einsehen, dass die Bürger weniger stark in abstrakten Verwaltungsvorschriften denken und während einer Planungsphase die konkreten Folgen eines Projekts nicht mitbekommen und nicht verstehen. Ein „haben wir doch ausgelegt“ reicht nicht als Transparenz.

Der Preis ist hoch

Abgesehen von den immer steigenden Kosten, möglichen Sicherheitsrisiken und gefällten Bäumen ist der immaterielle Preis, der nun zu zahlen ist, wesentlich höher. Die Stadt Stuttgart und mittelbar die ganze Republik sind nun tief gespalten, denn es gibt neben den Verantwortlichen auch Befürworter für das Projekt. Jedoch kommt es auf ihre Gründe nun nicht mehr an, ebenso wenig wie auf die der Gegner, es gibt nun nur noch Pro oder Contra.

Die Polizei hat mit der Räumung viel an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verloren und man beginnt sich zu fragen, ob die Krawalltäter aus Berlin und aus der Hamburger Hafenstraße nicht genau solche schlimmen Gewalttäter waren, wie sie jetzt den Schloßpark besetzt haben. Gewalt kann nur das äußerste Mittel der Polizei sein, denn wir Bürger haben die Polizei ausgestattet und legitimiert. Wenn sie sich grundlos gegen Bürger wendet, verliert sie diese Legitimation und wird als Gegner und nicht als Freund und Helfer wahr genommen.

Die Politik dagegen verspielt ebenfalls Vertrauen. Zynischerweise könnte man denken, das wäre das kleinste Problem, da sie ohnehin nicht mehr viel davon hat. Doch fragwürdige Entscheidungen ohne gründliche Prüfung gegen den Willen der Bürger durchzusetzen ist nicht Aufgabe der Politik. Diese Entscheidungen gewaltsam mit der Polizei durchzudrücken, ist nicht die Aufgabe der Politik. Und die Politik sucht auch keine Lösung, sondern verstärkt das Lagerdenken. Während die SPD noch verzweifelt versucht, sich von ihrer Befürwortung des Projekts abzusetzen (nicht unbedingt aus innerer Überzeugung), baut die CDU ein Bollwerk, dass sich sogar die Bundeskanzlerin berufen fühlt in landespolitischen Fragen Stellung zu beziehen. Die Grünen hingegene nutzen ihre frühzeitige Ablehnung des Projekts nun, um daraus Kapital zu machen und Stuttgart21 als Nagelprobe für Angela Merkel und die Bundespolitik aufzubauen. Was soll man denn da am Ende wählen, wenn nicht irgendeine unschuldige Kleinstpartei?

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2 Antworten

  1. ebook leser sagt:

    Wenn man die Bilder im TV zum Vorgehen der Polizei zu Stuttgart 21 sieht, denkt man nicht daran, dass dies in Stuttgart, im Musterländle ist. Das sieht eher nach Demonstrationniederschlagungen in Südafrika aus. Jetzt bin ich mal gespannt, wie die Politik aus dieser Nummer wieder rauskommt. Zur Zeit wird versucht, dass man Tatsachen schafft. Vielleicht schaffen die Wähler bei der nächsten Landtagswahl auch Tatsachen. Wir werden sehen.

  2. Aerar sagt:

    Da ich diesen Post wortgleich anderswo gefunden habe ( http://unzensiertinformiert.de/2010/10/stuttgart-21-ungeheuerlich-schlagstocke-gegen-kinder/ ) fühle ich meinen Verdacht bestätigt, dass es sich lediglich um Spam handeln. Darum habe ich den Link mal herausgenommen. Wer will kann aber trotzdem drünber diskutieren :-)

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