Liebe Ägypter,

wir verfolgen nun seit Tagen Eure mutige und friedliche Revolution gegen Euren Präsidenten Mubarak, einen Mann, den wir Präsidenten nennen, obwohl er doch wohl eigentlich ein Diktator ist. Doch wir haben uns daran gewöhnt, die Herrscher autokratischer und diktatorischer Länder Präsidenten zu nennen, wenn sie sich selbst so bezeichnen und so etwas ähnliches wie Wahlen abhalten. Wir schauen dabei von außen auf ein Land, dass die meisten von uns nur vom Urlaub oder aus dem Geschichtsbuch kennen. Und mit Geschichte meine ich die Pharaonen und die Pyramiden, denn von Eurer neuesten Geschichte haben wir bestenfalls den Anschlag auf Anwar as-Sadat mitbekommen.

Ihr müßt uns das verzeihen, denn obwohl wir uns selber gerne über die Ignoranz und Unwissenheit der Amerikaner lustig machen, haben wir doch eigentlich auch nicht viel mehr Ahnung über die Länder der Welt. Es gibt eben einfach zuviele. Und gerade wir Deutschen kümmern uns lieber um unsere zahlreichen eigenen Probleme und wir kennen meist nicht einmal die Menschen, die in unserer Straße nur zwei Häuser weiter wohnen. Gut, vielleicht hätten wir uns besser informieren können, aber bei uns im Fernsehen kommen meist nur billige Soaps und Shows und wenn tatsächlich mal eine informative Sendung kommt, dann gucken wir sie nicht.

Doch ich rede viel zu sehr über uns, dabei geht es doch eigentlich um Euch und das zeigt wieder unsere Selbstzentriertheit. Erst durch die Berichte über die Äufstände haben wir erfahren, wie schlecht es Euch geht, die ihr ohne Zukunftsperspektive in Armut und Unterdrückung lebt. Dass 70% von Euch unter 30 Jahren alt sind und auch ihr Twitter und Facebook benutzt, wo auch wir regelmäßig abhängen. Vielleicht sollten wir uns da einfach mal treffen? Denn eigentlich wollen wir gerne mehr über Euch erfahren und ihr vielleicht ja auch über uns. Vielleicht könnten wir gar Freunde werden?

Aber mit dem Freunde werden ist es schon etwas schwierig, denn wir erwarten zuerst, dass unsere Regierung Euch als wertvolle Freunde akzeptiert. Wir brauchen eine solche Legitimation, um wahre Freunde von Schurken zu unterscheiden. Aber unsere Regierungen sind da noch unflexibler als wir. Sie haben aber auch einen großen Verwaltungsapparat und der muss sehr viele Dinge bedenken. Da ist zum Beispiel die Sache mit der geopolitischen Lage. Ihr seid wichtig für unsere Regierung. Also natürlich nicht so wichtig wie Russland, Amerika und China und auch nicht wie Frankreich, Belgien oder Dänemark, aber im Nahen Osten, wie wir die Gebiete nennen, in denen ihr wohnt seid ihr schon wichtig. Und Euer Mubarak hat das gewusst und hat sich außenpolitisch immer einigermaßen korrekt uns gegenüber verhalten und das war uns schon wichtig.

Und nun erfahren wir, was wir vorher nicht wissen wollten, dass dieser Mubarak innenpolitisch ein Schuft sein soll. Die meisten von uns kannten nicht mal Mubarak. Unsere Regierungen aber wußten das schon, denn ihre Beschäftigung ist nicht Fernsehkrimis zu gucken oder am Wochenende das Auto im Vorgarten zu waschen. Doch sie haben es akzeptiert. Das kann man teilweise nachvollziehen, denn schließlich ist Euer Land ein souveränes Land und wir haben uns schließlich nicht in Eure Angelegenheiten einzumischen. Doch bei anderen Ländern mischen wir uns ja auch ein, wie etwa in Weißrussland. Und unsere amerikanischen Verbündeten haben ein noch größeres Gerechtigkeitsbewußtsein. Wenn ihr uns jetzt Doppelzüngigkeit vorwerft, können wir das zumindest verstehen.

Denn ja, wir wollen gerne Demokratie und wir freuen uns, wenn andere das auch wollen. Das stimmt. Sogar, wenn es um echte Demokratie geht. Aber wir wollen auch Sicherheit und Stabilität. Bei Euch ist das ein wenig schwierig, denn wir haben schon etwas Angst vor dem Islamismus und zum Beispiel die Muslimbrüderschaft ist uns unheimlich. Da überlegen wir uns das lieber zweimal mit der Demokratie, denn im Iran haben wir erfahren, dass wir ganz schnell blöd da stehen können, wenn unsere diktatorischen Freunde weggefegt werden. Der Islam, der wäre noch OK für uns, denn so gläubige Christen sind wir gar nicht, aber Islamismus finden wir wohl zu Recht eher undemokratisch.

Ihr seht also, wie schwierig das alles für uns ist, und darum sind wir so wankelmütig. Leider verpassen wir dabei aber auch die Chance, Euch mit offenen Armen und als Freunde zu empfangen. Gerade haben wir zum Beispiel die Türkei verloren, die unser Freund sein wollte, aber wir waren eben mißtrauisch. Bitte verzeiht uns das und gebt uns die Chance, Euch langsam als Freunde zu gewinnen, denn eigentlich können wir wirklich gute Freunde sein. Sogar echte Freunde, nicht nur zum Schein mit einigen Diktatoren, wie es uns die sogenannte realpolitische Lage abverlangt. Wir sind nur etwas langsam und wir sind auch nicht perfekt.

Allerdings hat unsere Langsamkeit zumindest auch etwas Gutes, denn wir vermeiden es so, durch überstürzte Handlungen Fehler zu machen. Gerade wir Deutschen stellen uns immerzu Fragen und selbst unsere Freunde lachen gerne über die „German Angst“. Doch natürlich fragen wir uns, was kommen wird. Wer soll denn zunächst die Regierung übernehmen? Mohammed el-Baradei? Das Militär? Seid ihr denn einig darüber, dass ihr bald demokratische Wahlen wollt? Und wer kommt dann an die Macht? Werdet ihr danach freier sein? Und wird sich Eure soziale Lage schnell genug verbessern? Und was wenn nicht? Kommen dann doch die Muslimbrüder an die Macht? Und wenn ja, was wollen die eigentlich ganz genau?

Ihr merkt also, wir sind sehr kopflastig, während wir von Euch glauben, dass ihr emotionaler seid. Und ihr gebt uns viele Dinge, über die wir nachdenken müssen, nicht zuletzt sind da ja auch noch Tunesien und die anderen arabischen Staaten in Eurer Nachbarschaft, die derzeit etwas abseits des Rampenlichts stehen. Ja, eigentlich wären wir gerne Eure Freunde und wären froh, wenn ihr unser System etwas übernehmt, denn China hat gerade gesagt, der Lebensstil in den westlichen Demokratien zum Scheitern verurteilt sei. Wir glauben aber, das stimmt nicht. Vielleicht könnten wir es ja gemeinsam beweisen?

Nachtrag (12:21 Uhr):

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Nachtrag (12:31 Uhr):

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