Anonym im Netz

Eigentlich sollte der Titel besser nur „Anonym“ heißen, denn man kann auch anderswo versuchen, anonym zu bleiben; der Zusatz „im Netz“ ist nur deswegen angefügt, weil man im Internet zumeist bessere Chancen hat, gehört zu werden, als wenn man in U-Bahn-Schächte hinein ruft oder Flugblätter verteilt. Weil man jedoch besser gehört wird und vor allen Dingen meist unauslöschlich gehört wird, kann es durchaus vorkommen, dass man zwar gehört aber nicht erkannt werden will. Da das Internet eben kein rechtsfreier Raum ist, soll es hier nicht um rechtliche Motive gehen, die einen dazu bringen, seine Identität geheimhalten zu wollen.

Anlass zu diesem Artikel war ein Artikel bei „sprengsatz“ der die Anonymität bei der Arbeit der Plagiatssucher-Webseite „VroniPlag“ kritisierte und den Verdacht äußerte, dass die Gründer bei diesem Projekt zumindest teilweise „das Internet missbraucht“ hätten. Dabei hat Spreng im Ansatz ein paar gute, aber meiner Meinung nach widerlegbare Argumente, indem er vermutet, dass es sich um eine persönliche Angelegenheit der Initiatoren handelt, die sich zunächst allein gegen Veronica Stoiber gerichtet hätte, die zudem eine Privatperson sei. Meine Widerlegung wäre, dass (plagiierte) Doktorarbeiten keine Privatangelegenheiten sind und dass der Nachweis eines Plagiats auch dann der Nachweis eines Plagiats bliebe, wenn er aus persönlichen Motiven erfolgt.

Dabei gibt es durchaus rechtliche Problematiken, wie die Frage nach dem Schutz des Persönlichkeitsrechts, das eventuell verletzt worden sein könnte oder des generellen Publikumsrechts, das eine anonyme Veröffentlichung der Webseite vermutlich verbietet. Doch kann ich diese juristischen Fragen nicht beantworten. Die Frage, die mich daher interessiert, ist die nach dem Vertrauen in die anonym erstellten Informationen, nach dem Wert dieser Informationen und die Frage, ob am Ende der Zweck die Mittel heiligt.

Vertrauen & Wert

Vertrauen und Wert hängen in vielen Punkten eng miteinander zusammen. Im Fall einer anonymen Veröffentlichung kann man das Vertrauen nicht am Verfasser festmachen und muss daher umso mehr die genannten Fakten kontrollieren. Dieses tut man bei großen Webprojekten mittlerweile als Otto-Normal-Surfer implizit nach dem Motto, „die Webseite ist schon so lange online und so bekannt, wenn da was grundlegend faul wäre, hätte ich das irgendwo mitbekommen“.

Anonyme Veröffentlichungen reduzieren sich daher in starkem Maße auf die Fakten und verlieren dabei den Wert der Metaebene, der eine Einordnung in einen bestimmten Kontext ermöglichen würde. Eine Diskussion über die Metaebene hatte ich kürzlich in den Kommentaren eines anderen Artikels. Diese Metaebene beeinflusst die Deutung der Fakten aber nur in Ausnahmefällen merklich. Allerdings würde die fiktive (!) Tatsache, dass die Urheber von „VroniPlag“ aus dem rechts- oder aus dem linksradikalen Spektrum kommen, und mit eindeutigen politischen Absichten handeln, alle Mitwirkenden am Projekt zugleich ungewollt zu Handlangern einer extremistischen Politik machen. Zudem würde sich dann sofort die Frage stellen, ob das Projekt „richtig“ ist und zwar nicht mehr auf der rein inhaltlichen Ebene.

Andererseits ist jedoch das Internet auch und insbesondere ein Sprachrohr der Massen, indem völlig unbekannte Personen (Un-, Halb-) Wahrheiten verbreiten können. Der erwähnte „Martin Heidingsfelder, alias Goalgetter, und ist selbstständiger Programmierer in Erlangen“ ist zum Beispiel für mich ein unbekannter Teil dieser Masse. Ebenso war es Julian Assange. Über seine Absichten ist mir nichts bekannt, auch wenn die Überlegungen von Michael Spreng durchaus richtig sein könnten.

Insofern macht dies deutlich, dass wir zumeist nicht mehr trennen zwischen Inhalt und Metaebene, wenn der Autor für uns immer mehr „das Internet“ heißt. Das ist in Einzelfällen gefährlich, wenn etwa Wikipedia-Artikel manipuliert werden und neue Wahrheiten erschaffen werden. Andererseits haben auch Leute etwas mitzuteilen, die nicht im Rampenlicht stehen wollen und es daher vorziehen anonym zu bleiben. Daher müssen wir auch weiterhin daran denken, Informationen im Internet vorsichtig zu betrachten.

Mittel & Zweck

Die andere Frage ist, ob man im Namen der vermeintlichen oder tatsächlichen Wahrheit alle Grenzen übertreten darf hat für mich eine klare Antwort: nein. Insofern finde ich, wenn auch mit Schmerzen, eine Impressumspflicht bei Flugblättern oder Webseiten von der Zielrichtung her richtig. Zu jeder öffentlichen Aussage sollte es jemanden geben, der sich dazu bekennt, schon allein, damit sich jemand verantwortlich fühlt, nicht wahllos Schmähungen oder Verdächtigungen im Internet zu verteilen. Das muss nicht notwendig der Urheber selbst sein, aber immerhin jemand, der diese Verantwortung übernimmt. In diesem Fall auch und gerade die rechtlichen Konsequenzen.

Solange man ethisch und inhaltlich korrekt veröffentlicht, kann ich eine anonyme Veröffentlichung moralisch nachvollziehen. Die rechtliche Lage solcher Veröffentlichungen müssen die Gerichte beurteilen, die Inhaltliche und moralische Bewertung solcher Artikel muss ich selbst erledigen. In jedem Einzelfall erneut.

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