Rekritik: Die S21-Entscheidung ist gut für die Demokratie

Manchmal finde ich im Internet Artikel, bei denen ich versucht bin, einen Kommentar zu schreiben, aber bald merke, dass die Antwort möglicherweise zu lang werden könnte und vielleicht eher einen eigenen Artikel rechtfertigt. Dieses will ich bei Bedarf unter der Überschrift “Rekritik” tun.

Schon als Kind habe ich gelernt, wenn man alle Farben zusammenmischt, dann ergibt das braun. Und das ist, das muss man heutzutage ja leider immer sagen, ausdrücklich nicht politisch gemeint. Aber wenn man all die schönen Farben wahllos mischte kam nun mal eben ein undefinierbarer brauner Farbton heraus, mit dem man nicht viel mehr anfangen konnte als ihn nicht zu vermalen, sondern ihn wegzugießen.

Wenn man wahllos Argumente zusammenmischt, dann passiert das gleiche und man hat im Ergebnis auch etwas undefinierbares. Und den Gedanken hatte ich als ich bei Nico Lumma las, warum die S21-Entscheidung gut für die Demokratie sei. Leider habe ich nicht die Zeit, den Text im einzelnen zu untersuchen und ich will auch nicht behaupten, dass jede einzelne zum Mischen des Artikels verwendete Farbe Unsinn ist, aber wie Nico Lumma es formulieren würde gibt es ein paar Dinge, die ich „nicht so ganz nachvollziehen kann“ (bzw. die ich nur falsch verstanden und interpretiert habe):

1) Wieso sollte es prinzipiell ein Erfolg sein, wenn Wutbürger in einer Abstimmung unterliegen? Den Begriff Wutbürger mochte ich nie und halte ihn für eine polemische Verhöhnung von Menschen, die Politik und Gesellschaft so ernst nehmen, dass sie mit einem nachvollziehbaren Anliegen für ihre Rechte oder die anderer auf die Straße gehen. Das finde ich gut und das ist davon unabhängig, ob sie letztlich Recht haben (wer will das objektiv beurteilen) oder bekommen.

2a) “ aber für unsere Demokratie ist es doch letztendlich gut gelaufen. Spät, viel zu spät, wurde auf die Kritiker eingegangen“ schreibt Lumma und widerspricht sich selbst ohne es zu merken. Denn wie soll es für die Demokratie gut gelaufen sein, wenn die Politik ihre Bürger durch intrasparenz über den Tisch gezogen hat?

2b) Und inwieweit kann man eine Abstimmung damit zumindest implizit als fair bezeichnen, bei der die Bürger nach dem Prinzip „Friß oder Stirb“ schon vor weitgehend vollendete Tatsachen gestellt worden sind. In meinen Augen zeigt die Abstimmung, dass die Bürger im Raum Stuttgart eben keine eifernden Machinenstürmer sind, sondern in der Lage sind eine bittere Pille zu schlucken (und nicht „nein“ zu stimmen). Und sicher hat sich auch gezeigt, dass viele die Pille nicht so bitter fanden (und „ja“ stimmten).

3) Auch in meinen Augen haben die Grünen die Debatte um S21 zumindest teilweise instrumentalisiert, trotzdem weiß ich nicht, ob es richtig ist so unverhohlen einen Bumerang daraus zu basteln und sich zu freuen, dass dieser vermeintlich eingeschlagen ist.

4) „…wie es eben so oft bei großen Infrastrukturprojekten der Fall ist. Sonst wären es ja auch kleine.“ Hier wird mir der Herr Lumma sehr gönnerisch mit der Bewertung von Projekten, bei denen ich mir sicher bin, dass er davon keine Ahnung hat, schon allein deshalb keine Ahnung haben kann, weil diese Projekte derart komplex sind, dass sie vermutlich von niemanden überschaut werden. Er wischt damit nebenbei und vermutlich ohne es selbst zu merken eine weitere wichtige Frage vom Tisch, nämlich die nach dem Sinn solcher Großprojekte. Wobei „Sinn“ zugegeben nicht ganz das richtige Wort ist, mir fällt nur gerade kein besseres ein. Großprojekte können ja durchaus sinnvoll sein. Nur die Kosten-Nutzen-Abschätzung liegt eben in den allermeisten Fällen schlecht bei Großprojekten. Und Deutschland hat eine große Tradition im Versauen von Großprojekten, weil diese zu oft komplett unüberschaubar von Politik und Industrie instrumentalisiert werden und regelmäßig mit mutmaßlichen Vorsatz oder einfach auch nur Ahnungslosigkeit in den Sand gesetzt werden. Sie sind eben groß, Herr Lumma.

Mir fallen jetzt noch ein paar andere Fragen auf, die man zum Artikel stellen könnte, aber ich denke die vier Punkte müssten eigentlich reichen, um einen solchen Artikel in Frage zu stellen. Alleine und insbesondere handwerklich, denn es ist nicht alles falsch – doch wenn man alle Farben sinnlos mischt….

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