Rekritik: würde durch schweigen

Manchmal finde ich im Internet Artikel, bei denen ich versucht bin, einen Kommentar zu schreiben, aber bald merke, dass die Antwort möglicherweise zu lang werden könnte und vielleicht eher einen eigenen Artikel rechtfertigt. Dieses will ich bei Bedarf unter der Überschrift “Rekritik” tun.

Bei der Diskussion um das Fehlverhalten von Bundespräsident Christian Wulff kristallisieren sich drei Fragen heraus. Zum einen wird, so weit ich das sehe, das erste Mal der Sinn des Amts eines Bundespräsidenten generell von einer breiteren Öffentlichkeit hinterfragt. Die Diskussion ist allerdings noch klein und eher dem fortschrittlerem Zeitgeist als der Dimension von Wulffs Fehlverhalten geschuldet. Die entscheidenden Fragen drehen sich naturgemäß um die Würde des Amts beziehungsweise um die Grenzen der Moral und um die Rolle der Presse. Meist werden diese Fragen zusammenhängend behandelt wie auch im Artikel „würde durch schweigen„.

Anders bei meiner letzten Rekritik kann ich die Aussagen des Autors dieses Artikels jedoch gar nicht nachvollziehen und halte sie für dumm und gefährlich. Dabei will ich gar nicht mehr auf eine mögliche Gesamtaussage eingehen, weil der Text mir zu viele Einzelaussagen enthält, die ihn in meinen Augen disqualifizieren. Ich denke auch nicht, dass es ungerecht ist, diese Einzelaussagen herauszugreifen und zu kommentieren, weil sie meiner Meinung nach den Geist des Textes schaffen:

„alleine schon um dem schmierigen kai diekmann nicht den triumph zu gönnen, künftig behaupten zu können, dass er präsidenten stürzen könne. [ .. ] aber meiner meinung nach sind sie kein rücktrittsgrund.“

Bis hierhin ist es eine Auffassungssache und ich kann nachvollziehen, dass jemand, anders als ich, der Meinung ist, dass kein Rücktrittsgrund vorliegt. Die Argumentation mit dem „gönnen“ hingehen ist grenzwertig und behandelt die Kampagnenfrage, zu der ich meine Meinung in der gestrigen Rekritik dargelegt habe. Auch hier bin ich also anderer Meinung, kann aber andere Auffassungen nachvollziehen. Die Grenze des Nachvollziehbaren ist für mich aber überschritten, wenn man (bestimmten) Journalisten oder Medien einen „Triumph“ generell nicht gönnen will, anscheinend sogar dann, wenn sie (ausnahmsweise) einmal richtig liegen. Diese Grundaussage wird am Abschluss des Artikels noch einmal wiederholt: „den journalistendarstellern im springer-verlag einen triumph gönnen?“ Das ist in meinen Augen engstirnig und unangemessen. Denn erstens geht es nicht um die Bild-Zeitung alleine und zweitens gilt die Pressefreiheit auch für die Bildzeitung, selbst wenn deren Verhalten nahelegt, dass sie nicht in allen Fällen adäquat damit umgehen kann.

„aus der distanz, zum beispiel in ein, zwei jahren, betrachtet, wird das jedem auffallen: „warum haben wir uns darüber aufgeregt, statt zu lachen?““

Das ist der Satz, der mich am meisten aufregt und mir am dümmsten vorkommt. Das Verhalten von Wulff ist keineswegs läßlich oder lachhaft, wenn es um die Frage von Vorteilsnahme und Pressebeeinflussung geht. Denn der Grund, weshalb wir uns „nur“ über zinsgünstige Kredite und vermutete heißblütige Drohanrufe aufregen, ist, dass wir es tun. Auch im europäischen Ausland ist diese Aufregung oft schwer nachvollziehbar, wo Präsidenten indirekt Redakteure entlassen und Bunga-Bunga-Parties feiern. Wenn wir uns jetzt nicht aufregen, werden wir in zwei Jahren nicht lachen, sondern die gleichen Fehlverhalten in Deutschland haben. Politiker seien doch keine Heiligen heißt es oft. Doch diese Polemik ist verfehlt, denn darum geht es nicht. Es geht darum, dass Politiker keine Verbrecher sind und sich moralisch anständig verhalten.

„Die Pressefreiheit, die mir wichtig ist, ist nicht die Freiheit von Herrn Diekmann, von Anrufen der Opfer seiner Methoden verschont zu bleiben [..] Solange er ihm nicht die Polizei auf den Hals schickt, soll er von mir aus Herrn Diekmann Tag und Nacht anrufen.“

Dieses Zitat macht der Autor nicht selbst, aber macht es sich zu eigen. Und es ist falsch. Denn hier geht es um angebliche Droh-Anrufe und Medienbeeinflussung unter möglicher Zuhilfenahme eines hohen Staatsamts. Diese sind unverzeihlich. Mir umgekehrt wäre es genau andersherum lieber, wenn Herr Wulff der Bild-Zeitung die Polizei auf den Hals geschickt hätte. Denn in diesem Fall gäbe es eine nach öffentlichen Maßstäben nachprüfbare Untersuchung. Aber dieses Einschalten von Polizei und Justiz setzt eben auch ein Fehlverhalten voraus. Anrufe hingegen basieren allein auf der Wertung des Anrufers. Herr Wulff hat jedes Recht, sich gegen ungerechtfertigtes Handeln mit legalen Mitteln zur Wehr zu setzen.

Sonstiges

Die sonstiges Passagen des Artikels will ich nicht alle ausführlich behandeln. Ich lese dort heraus, dass es ja viel schlimmere Vorteilsnahmen durch Politiker gibt als die von Wulff. Warum das gefährlich ist, hatte ich bei meiner Meinung zum Setzen von Grenzen schon dargelegt. Darüber hinaus ist das „andere tun es auch“ – Argument ohnehin kein tragfähiges. Anschließend verstehe ich die Argumentation so, dass Wulff bislang ein eher untätiger und eher schlechter Bundespräsendient war (sehe ich ebenso) und dass es daher nicht schaden würde, ihn im Amt zu belassen, sofern er zukünftig wieder so unscheinbar wäre, wie zuvor (sehe ich anders, denn dann könnte man das Amt praktisch abschaffen).

Alles in allem denke ich, hätte es dem untersuchten Artikel gut getan, wenn dessen Autor seiner eigenen Überschrift mehr vertraut hätte: „würde durch schweigen“ – das gilt für mich auch dann, falls ich wieder einmal nur unfähig war, Ironie zu erkennen.

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