Rekritik: Milchmädchen und Hausfrauen

Manchmal finde ich im Internet Artikel, bei denen ich versucht bin, einen Kommentar zu schreiben, aber bald merke, dass die Antwort möglicherweise zu lang werden könnte und vielleicht eher einen eigenen Artikel rechtfertigt. Dieses will ich bei Bedarf unter der Überschrift “Rekritik” tun.

Es ist eigentlich immer ein wenig frauenfeindlich, wenn man die Rechnungen der Milchmädchen und schwäbischen Hausfrauen anführt. Denn wenn man diese bemüht, meint man meist, dass jemand mit begrenzten Horizont rechnet und dabei viel zu einfach rechnet, um das wahre Ausmaß einer Situation zu erfassen. Das Ergebnis dieser armen Frauen ist dann gut gemeint und möglicherweise in einem beschränkten Rahmen richtig, kann aber nie das große Ganze erfassen.

Doch in Wahrheit sind es genau die Milchmädchen und Hausfrauen, die es richtig machen, indem sie Rechnungen aufstellen, die nachvollziehbar und verständlich sind. Es sind daher meist Männer, die eine Kompliziertheit der Lage postulieren, die sie anschließend selbst ebenso wenig begreifen, wie die gerade gescholtene Hausfrau. Doch mit das wichtigste Prinzip in Wissenschaft und Politik ist das Prinzip der Einfachheit. Nur, wenn Dinge von möglichst vielen durchschaut werden, können sie gut und gerecht gestaltet werden.

Natürlich sind tatsächlich manche Dinge etwas komplexer als ein Einkaufszettel über zwei Tüten Milch. Jedoch versuchen viele, oft auch selbsternannte, Intellektuelle Gedankengebäude zu errichten, die allein dem eigenen Ego oder der Selbsterhaltung dienen. Denn hinter komplexen Gedankengebilden lässt sich beinahe jede Vorteilsnahme verschleiern und mit ihnen das eigene Unvermögen entschuldigen, wenn eine Voraussage doch nicht so eingetroffen ist wie erwartet. Dieses Prinzip der Verschleierung durch unnötige Komplexität gilt es immer kritisch zu hinterfragen.

Schlimm finde ich es da, wenn frischgebackene Wirtschaftsexperten („Ökonomie mochte ich noch nie. […] Doch seit dem Ausbruch der Krise hat sich das grundlegend gewandelt“) den Dummen in der Welt erklären wie selbige funktioniert („Ich habe mein Möglichstes getan, um den Irrsinn der europäischen Austeritätspolitik so zu erklärt, dass zumindest die intelligenteren unter den Ökonomen und Journalisten die schwäbische Milchmädchenrechnung verstehen können“). Wobei sich die Erklärung des „Irrsinns der Austeritätspolitik“ anscheinend darauf beschränkt, zu erklären, dass der Staat anders funktioniert, als ein schwäbischer Haushalt. Grob zusammengefasst verstehe ich das Argument wie folgt: Der Staat ist anders als die Hausfrau viel stärker mit allen Bürgern vernetzt und Einsparungen würden beim ihm immer auch zu Einnahmeausfällen führen.

Was vermutlich sogar stimmt, aber leider argumentativ nicht annähernd ausreichend ist, damit die Austerität widerlegt zu haben. Leider ist ein weiteres Problem des Artikels, dass er so viele „kann“s und „wenn“s enthält, dass eigentlich nicht einmal eine klare Argumentation für mich erkennbar ist. Was ich dafür erkenne ist, eine umso klarere Aussage (Austerität ist Irrtum.) Vielleicht hätte man statt „Fakten“ zu präsentieren einfach mal die „Logik“ bemühen sollen, um den nächsten Schritt zu denken. Denn wenn die Austerität dem Staat beinahe zwanghaft Schaden zufügt, dann wäre es doch am Besten, die Staatsausgaben zu verdoppeln oder gleich zu verzehnfachen. Ich glaube, an genügend Ideen dazu würde es in den einzelnen Ressorts nicht mangeln.

Ich will nicht behaupten, es besser zu wissen als der Autor des Artikels, allerdings glaube ich eine Sache besser gemacht zu haben, indem ich das Wort „Logik“ im oberen Absatz in Anführungsstriche gesetzt haben. Ansonsten fällt mir auf, dass ich einen ganz anderen Fehler gemacht habe: in meinem Artikel geht es eigentlich gar nicht um Austeritätspolitik, sondern eher um die kritische Hinterfragung von Experten, die die Welt so schön erklären.

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