Erfolgreich protestieren
Wolfgang Michal spricht auf Carta einen sehr wichtigen Punkt an, der für unsere Gesellschaft ein entscheidender Punkt sein könnte – es aber zumeist nicht ist: Die Protestbewung und ihr meist frühzeitiges Scheitern. Richtig merkt er an, dass es derzeit genügend soziale und politische Schiefstände gibt, die dringend einer Verbesserung bedürfen. Auch gäbe es eindrucksvolle Gegenbewegungen, die jedoch fast immer nach mehr oder weniger kurzer Zeit erlahmen, ohne wirklich etwas erreicht zu haben. Allein diese Beobachtung ist eine wichtige, die man immer im Hinterkopf haben sollte: es gibt wichtige Probleme, die dringend gelöst werden müssen, aber meist nur eine kurzlebige und wenig effektive Gegenbewegung.
Michal macht sich auch Gedanken, warum das so sei und formuliert acht Thesen, die die Probleme und damit die Schwäche der Protestbewegung begründen sollen. Diese Thesen sind ein guter Versuch, aber wohl nicht nur in meinen Augen noch nicht gut gelungen. Das Problem dieser Thesen ist, dass sie zum Einen zu verkopft sind. Zum Anderen wirken einige Thesen so konstruiert, dass ihr wahrer Kern so klein ist, dass man sie wohl eigentlich als falsch bezeichnen müsste. Insgesamt liegt Michal damit aber nicht wirklich falsch, versteckt jedoch meiner Meinung die wichtigen Wahrheiten hinter unwichtigem Theoretisieren. Darum möchte ich, die beiden für mich entscheidenden Probleme herausarbeiten:
1. Der theoretische Unterbau:
Tatsächlich fehlt es der Protestbewegung an einem gewissen Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien. Das ist jedoch kein notwendiger Hinderungsgrund. Denn man muss nicht von Kant bis Marx gelesen und verstanden haben, was es an Gesellschaftstheorie gibt und ein alternatives Lebensmodell entwerfen, um zu erkennen, das Atomkraftwerke gefährlich sein können und Banken auf Kosten der Gesellschaft leben. Viel wichtiger ist es, die grundlegenden Prinzipien zu verstehen und zu erkennen, welche Probleme schwerer wiegen und welche Nebenschauplätze sind. Und zu erkennen, gegen welche Ursache sich ein Protest richten muss. In den meisten Fällen sind die Ziele unfähige oder ignorante Politiker, schwerfällige Parteien und skrupellose Lobbyisten, samt ihrer Hintermänner in der Wirtschaft. Die Protestbewegung braucht also eine klare Definition ihrer Ziele und Gegner.
2. Die Wahl der Waffen:
Um ein Gesetz wie etwa das „Mövenpick-Gesetz“ auf den Weg zu bringen, braucht es gute Beziehungen, eine handvoll Lobbyisten und ein paar Wochen Zeit. Um ein solches Gesetz auf der Straße zu kippen, barucht es dagegen 100.000 Demonstranten, die monatelang regelmäßig demonstrieren. Ein Aufwand, der sich in den meisten Fällen kaum leisten lässt und oft bestenfalls nur bei lokalen Problemen wie Stuttgart21 ansatzweise funktioniert. Selbst, wenn am Ende ein Gesetz zurück genommen wird oder wie so oft nur kosmetisch beschnitten wird, gibt es in der Zwischenzeit unzählige neue. Die Protestbewegung muss mit hohem Aufwand einen Kampf gegen Windmühlen führen. Dieser ist aufzehrend, meist wenig erfolgreich und somit eher frustrierend als ermutigend. Für eine erfolgreiche Protestbewegung braucht es die richtigen Waffen, die durchaus zur Verfügung stehen:
a) Die politische Macht; Der Erfolg der Piratenpartei hat gezeigt, welches Potential der Bürger an der Urne hat, wenn er sich nach Alternativen sehnt. Leider hat die Piratenpartei ihre Chance bisher weitgehend ungenutzt aus der Hand gegeben, doch bietet sich für jeden die Möglichkeit dort oder bei anderen Parteien mitzuarbeiten. Zudem gibt es immer weitere Parteien, deren Inhalte und Existenz man tendenziell besser oder schlechter beurteilen kann, die aber womöglich eine Alternative zu den eingefahrenen „etablierten Parteien“ bieten.
b) Die wirtschaftliche Macht: Neben der Abstimmung mit seiner Wählerstimme bietet sich beim Kampf gegen Firmen der Geldbeutel als Waffe an. Selbst innerhalb recht überschaubarer Bereiche, wie der fragmentierten Blogosphäre haben sich allein die sogenannten „Shitstorms“ durchaus als effektive Waffe gegen allzu aggressive Abmahnpraktiken von Firmen erwiesen (etwa von diesem Standpunkt zu diesem Ergebnis) – zumindest gegen solche, die im direkten Kundenkontakt stehen. In der realen Wirtschaft ist es noch leichter seine Missbilligung auszudrücken, indem man sich dem Erwerb bestimmter Produkte verweigert. Es gibt einige Produkte, die ich persönlich seit teilweise zehn Jahren nicht mehr kaufe, ohne dass mich das sonderlich einschränkt. Eine solche Verweigerung dauerhaft von den oben erwähnten 100.000 praktiziert, wird durchaus einen merklichen Effekt auf die Meinungsbildung haben. Diese Waffe ist leicht zu praktizieren und muss nicht einmal zentral abgestimmt werden. Wenn nur genug Leute aus einer „Mövenpick-Steuer“ für sich persönlich den Schluss ziehen, auch mal einen Hotelbesuch zu vermeiden – einfach aus Prinzip und weil es sich richtig anfühlt – dann würden Konzerne in Zukunft aus reiner Kosten-Nutzen-Rechnung wesentlich genauer abwägen müssen, welche Schritte sie durchdrücken und welche sie besser vermeiden.
c) Die Meinungsmacht: Jeder Mensch ist in der Lage, in seinem Umfeld seine Meinung darzulegen und andere zu überzeugen. Mit den zusätzlichen Mittel des Internet lässt sich die eigene Meinung auch in Kommentaren oder eigenen Beiträgen verbreiten und vor allem ständig bilden und anpassen.
Update (12:38 Uhr): Entsprechend des Kommentars (#1) von Rayson habe ich den letzten Satz im Abschnitt „a) Die politische Macht“ geändert. Ursprünglich stand da : „Zudem gibt es immer weitere Parteien, die man gut oder schlecht finden kann, die aber womöglich eine Alternative zu den eingefahrenen „etablierten Parteien“ bieten.“ (mit entsprechender Verlinkung)
Kleine Anmerkung: Ich finde die AfD nicht „gut“. Ich finde gut, dass es sie gibt. Aber das gilt auch für fast alle anderen Parteien.
Habe den Satz geändert – ich hoffe, so ist es OK?
Fein, danke!