Zensur ist Zensur
Anfang des Jahres habe ich einen Artikel geschrieben, in dem ich das selektive Auswählen von Trackbacks in Blogs als mutmaßliche Zensur bezeichnet habe. Gleiches gilt natürlich auch für das selektive Auswählen von Kommentaren oder sonstigen Beiträgen. Nun gibt es aktuell einen viel beachteten Beitrag in den ScienceBlogs, der behauptet, gelöschte Kommentare seien keine Zensur. Auch das ist richtig, aber eben nur technisch betrachtet. Denn letztlich degradiert der Artikel die Meinungsfreiheit zu einem theoretischen Recht, dass man in der Praxis nur eingeschränkt wahrnehmen kann.
Das Problem bei beiden Artikeln ist, dass sie den Anschein einer Allgemeingültigkeit erwecken, der für den Einzelfall in der Praxis unpassend ist. Dabei seien objektive Kriterien einen Beitrag abzulehnen (auch wenn hier die Frage offen bleibt, wo da genau die Grenzen sind) einmal ausgenommen., denn ich halte es für legitim, Beiträge zu löschen, die rechtlich zu beanstanden sind oder inhaltlich nicht zum Thema passen. Problematisch finde ich es jedoch, Beiträge aufgrund von abweichender Meinung zu unterdrücken. Gerade politisch motivierte Webseiten neigen dazu, anderslautende Meinungen zu unterdrücken. Dies führt am Ende jedoch zu einer Filterblasen-Wahrnehmung, die sich selbst zu bestätigen scheint und die Wahrheit verfälscht. Ein solches Verhalten ist für mich bereits „Zensur“ im strengeren Sinn, die ich missbillige und gegen die ich, wenn es möglich ist auch angehe.
Sicherlich gibt es, wie bei den ScienceBlogs gesagt, kein unbedingtes Recht, überall seine Meinung kundzutun. Allerdings gibt es eben auch das Recht, auf die Unterdrückung von Meinungen aufmerksam zu machen und entsprechende Informationsplattformen auszugrenzen. Denn letztlich suggerieren derartige Plattformen zumeist einen vordergründigen Eindruck von Objektivität und Offenheit, den sie de facto nicht erfüllen. Dies mag man im Kleinen eventuell noch als Eigenheit der Plattform oder als Marotte ihres Betreibers abtun wollen, aber das Problematische an solchem Verhalten zeigt sich besonders deutlich bei verbreiteten Medien. Im Internet gehören dazu etwa die Suchmaschinen, Wikipedia und die großen Nachrichtenportale, aber bereits auch andere Webseiten mit vielen Seitenaufrufen. Wenn diese Webseiten aus subjektiven Gründen Inhalte unterdrücken und dies vielleicht nicht einmal für die Besucher der Seite ersichtlich ist, ist dies eine Zensur, die die Meinung verfälscht und somit in meinen Augen die Meinungsfreiheit einschränkt. Da hilft es mir nichts, dass ich das theoretische Recht habe, in einer versteckten Ecke des Internets mein eigenes Meinungsschild hochzuhalten.
Für mich bedeutet „Zensur“ das willkürliche Auswählen von Beiträgen nach subjektiven Kriterien mit dem Ziel, unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Dies wird täglich tausendfach getan und führt so zu einer Beeinflussung und meist sogar zur Verfälschung von Meinungen und Meinungsfreiheit. Dass es keine prinzipielle staatliche Zensur gibt und eine grundlegende gesetzliche Meinungsfreiheit garantiert wird, ist wichtig und gut, verhindert aber nicht, dass in der Praxis eben doch zensiert wird.