Wir tun nur unsere Pflicht

Die Sachlage, soweit ich sie verstehe: Das Jobcenter Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen, das im Juni 2012 vom Sozialgericht in Nordhausen zur Nachzahlung von zehn Cent an eine Hartz IV-Empfängerin verurteilt worden ist, zieht nun vor das Bundessozialgericht, nachdem das Landessozialgericht in Erfurt den Berufungsantrag der Behörde abgelehnt hat, mit dem Hinweis, dass die Gerichte nicht wegen derart niedriger Beträge beschäftigt werden sollen.

Problem bei der Prozessfinanzierung

Der Rechtsweg ist, nicht nur in Deutschland, teuer und aufwändig, was zur Folge hat, dass er in den meisten Fällen nur beschritten wird, wenn größere Summen auf dem Spiel stehen. Als negativer Nebeneffekt dient der Gang durch die Instanzen zuweilen aber auch als Spielwiese für notorische Querulanten und als strategisches Druckmittel großer Firmen, um kleinere Kontrahenten zu zermürben und unliebsame Tendenzen in der Rechtsprechung abzuwenden. Problematisch wird es aber außerdem, wenn Parteien gegeneinander antreten, denen durch den Rechtsweg keinerlei Kosten entstehen. Dies scheint aus meiner Sicht wohl bei einem Prozess zwischen einer Hartz IV-Empfängerin, die mutmaßlich die Prozesskosten nicht selbst bezahlen kann und darum vom Staat finanziert bekommt, und einer Behörde, die den Prozess vermutlich direkt oder indirekt aus irgendeiner staatlichen Kasse finanziert, der Fall zu sein.

Ein Problem der privaten und sozialen Gerichtsbarkeit scheint damit also grundlegend zu sein, dass einige Prozessparteien, sei es durch eigene oder durch fremde Geldmittel, auf dem Prozessweg in der Praxis über Gebühr bevorteilt sind.

Problem des Behördeninteresses

Die Frage, die sich mir stellt, ist, welches Interesse eine Behörde bei der Prozessführung hat. Letztendlich dient sie den Interesse des Bürgers, also je nach Auftrag etwa dem Interesse der Hartz IV-Empfänger, zum Anderen muss sie aber auch im Interesse der anderen Bürger ihre Kassen vor unberechtigten Forderungen schützen. Die Grundlage für diese Abwägung ist das geltende Recht. Offen bleibt jedoch, in welchem Rahmen dieses Recht ausgeschöpft werden soll.

Ganz offensichtlich ist das Einfordern eines Cent-Betrages vor dem Bundessozialgericht für die Gesamtheit der Bürger ein finanzielles Minusgeschäft, da die anfallenden und mutmaßlich letztlich staatlich finanzierten Gerichtskosten, den zu erwartenden Gewinn bei Weitem übersteigen. Allerdings wäre denkbar und vermutlich auch sinnvoll, einen solchen Weg trotzdem zu beschreiten, etwa um in einem grundsätzlichen Fall Rechtssicherheit zu erlangen und so künftige unberechtigte Forderungen als auch künftige Prozesse zu vermeiden.

Zugleich stellt sich dann auch die Frage, ob eine Behörde bei ihren Entscheidungen allein im Interesse ihrer Funktion oder ihres Aufgabenbereichs agiert oder dabei auch ein übergeordnetes Interesse im Blick haben muss. Letztendlich denke ich persönlich, dass eine Behörde im Wesentlichen nur ihren eigenen Wirkungskreis beurteilen kann und nicht in der Lage ist und auch nicht das Recht haben sollte, eine globale übergeordnete Interessenbewertung für sich in Anspruch zu nehmen. Dies führt zwar in einzelnen Fällen zu „unsinnigen“ Konstellationen, die für die Gemeinschaft nachteilig sind,  jedoch wäre eine in Bezug auf die Allgemeinheit kleine Behörde andernfalls nicht in der Lage, ihrem Auftrag sinnvoll nachzugehen. Dennoch ist die Frage, ob die Begrenzung auf den eigenen Horizont automatisch einen Freibrief bedeuten kann, stets alle Register im eigenen Interesse aufzurufen.

Entscheidungsprozess

Sofern keine grundsätzliche Rechtsfrage zu klären ist, scheint mir ein gerichtlicher Streit um einen Betrag von zehn Cent, der in gewisser Weise bereits von zwei Gerichten beschieden wurde, ein unsinniger Prozess zu sein. Der Auftrag der Behörde, ihr Recht einzufordern wurde in meinen Augen bereits erfüllt, die interne und die gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzungs-Rechnung des Prozesses sind deutlich negativ. Nicht zuletzt fallen ja vermutlich auch für die nicht-juristischen Mitarbeiter der Behörde Arbeitszeiten und damit Kosten an, die diesen Fall betreffen. Sollte der Prozess also rein aus Prinzip geführt werden, stellt sich für mich die Frage, ob hier eine Behörde, aus welchen Gründen auch immer,  juristisch Amok läuft.

In dem Fall wäre die Frage, auf welcher Grundlage eine Entscheidung für die Fortführung des Prozesses erfolgt. Liegen dieser Entscheidung verbindliche übergeordnete Vorschriften und Weisungen vor, die der Behörde letztlich vorschreiben, einen solchen Prozess zu führen? In diesem Fall müssten diese Vorschriften einmal genauer analysiert und gegebenenfalls angepasst werden. Oder handelt es sich um eine Ermessungsentscheidung einzelner Mitarbeiter? In diesem Fall müsste man die Entscheidungsstruktur auf gleiche Weise kritisch hinterfragen und prüfen, aus welchem Grund übergeordnete Stellen diesen Prozess nicht rechtzeitig stoppen konnten oder wollten. Eventuell ist auch zu prüfen, sofern sich der Prozess denn tatsächlich als unsinnig und unnötig herausstellen sollte, inwieweit die verantwortlichen Mitarbeiter für anfallende Kosten haftbar gemacht werden und dienstrechtlich belangt werden können.

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