Postenwahn bei der AfD?

Die AfD benutzt das Internet und provokante Aussagen, um sich mehr Einfluss und politische Posten zuzueignen. Diese Analyse, die Sascha Lobo nach meiner Sicht in seinem neuen Kolumnenbeitrag macht, ist vermutlich in großen Teilen korrekt. Leider aber handelt es sich dennoch um einen eher schlechten und substanzlosen Beitrag von Lobo, der es eigentlich besser kann.

Denn allein die Tatsache, dass die AfD nach Stimmen und Einfluss giert oder dass einzelne Mitglieder von prestigeträchtigen und wohlmöglich gut bezahlten Posten träumen, macht sie nicht zu einer schlechten Partei. Denn letztlich sind egozentrische und egoistische Einzelpersonen ein Problem, das allen Parteien zukommt und auch die Jagd nach Wählerstimmen gehört zum politischen Tagesgeschäft aller Parteien. Ob ein Wähler dabei instrumentalisiert wird oder am Ort seiner Überzeugungen abgeholt, liegt dabei jedoch zumeist im Auge des Betrachters.

Auch ihre politische Grundausrichtung kann man der AfD nur bedingt anlasten. Zwar mag vielen diese Ausrichtung unethisch und unausgegoren erscheinen, doch soweit sich diese innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens bewegt, ist es die Aufgabe jedes einzelnen Wählers, über diese zu entscheiden. Dabei bedient die Partei sicherlich gezielt die Egoismen und Vorurteile ihrer Klientel, doch das haben in der Vergangenheit auch andere Parteien getan. Als grob gesagt Ein-Themen-Partei ohne absehbare Regierungschancen kann sie sich zudem besonders flexibel und im Zweifel auch radikal in ihrem Gebiet aufstellen. Selbst wenn man der Partei zu Recht vorwirft, unrealistische Forderungen zu haben und keinerlei nennenswerte Positionierung und Expertise auf anderen Politikfeldern zu besitzen, ist dies kein Vorwurf, den man allein der Partei machen kann. Zwar stellt sich vielleicht die Frage, wie schnell die Bundesrepublik Deutschland gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich an die Wand fährt, sollte die AfD an die Regierungsverantwortung kommen, aber diese Entscheidung muss eben nunmal der Wähler treffen. Aus meiner Sicht ist die AfD damit eher ein Vehikel für die Vielzahl der „besorgten Bürger“ als es umgekehrt ist.

Letztlich treffen die Vorwürfe gegen die AfD also in meinen Augen nicht die Partei selbst, sondern die Gesellschaft und den Politikbetrieb insgesamt. Zweistellige Ergebnisse der rechtspopulistischen AfD bei den Kommunalwahlen in Hessen sprechen eine erschreckende und zugleich deutliche Sprache. Man kann diese Ergebnisse beklagen, man kann die Aussagen der AfD und ihrer Sympathisanten mit guten Argumenten widerlegen und man kann einen moralischen Imperativ anführen, der eigentlich gesellschaftlicher Konsens sein sollte. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass ein zweistelliger Wähleranteil diese Gedanken nicht verstehen kann oder will oder zumindest, trotz aller brennenden Asylantenheime, der Meinung ist, als Protestwähler den herrschenden Parteien einen Denkzettel verpassen zu müssen.

Über Jahrzehnte waren es die großen Volksparteien gewohnt, von kleineren Abweichungen abgesehen, die Wahlerfolge unter sich aufzuteilen. Selbst der immer stärker werdende Verlust an Parteimitgliedern und Stammwählern und eine kleiner werdende Wahlbeteiligung schienen daran nichts zu ändern, da dies im Groben alle Parteien gleichermaßen betraf. So schien es lange als könnte man nach dem Motto verfahren, dass die Mehrheit von wenigen Stimmen eben immer noch eine qualifizierte Mehrheit sei. Der Erfolg der AfD scheint nun eventuell ernsthaft an dieser Gewissheit zu rütteln. Die freie Interpretation des Zitats von Max Frisch, dass wer nicht wählen ginge, in Wahrheit die herrschende Partei stütze, gilt eben nur insoweit, wie es keine andere Partei gibt, die es schafft, ihre Wähler zu mobilisieren. Was bislang fehlte, war ein passendes polarisierendes politisches Thema. In Anbetracht der gesellschaftlichen Bedeutung der Flüchtlingskrise sind die jüngsten Erfolge der AfD nicht unerwartet.

Die AfD wird vermutlich mittelfristig ein vorrübergehendes Phänomen sein. Sollte die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in naher Zukunft merklich zurück gehen und die Integration der hier lebenden Flüchtlinge zumindest einigermaßen gelingen, wird der AfD ihr aktuelles Kernthema entzogen, so dass in meinen Augen fraglich ist, ob sie in vielleicht ein oder zwei Jahren überhaupt noch in Reichweite der Fünf-Prozent-Hürde ist. Was aber bleiben wird, ist die Erinnerung daran, wie dünn die zivilisatorische Decke und der gesellschaftliche Konsens auch in Deutschland sind. Die Politik und die Gesellschaft muss sich darum in Zukunft wieder stärker um ihren gesamtheitlichen Zusammenhalt kümmern und nicht zuletzt auch wieder inspirierender, transparenter und bürgernäher werden.

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