So geh’n die Gauchos

Als ich gestern nebenher die Übertragung von der Fanmeile sah, schreckte ich kurz auf, als ich den Gaucho-Tanz der Nationalspieler Mario Götze, Miroslav Klose, Toni Kroos, André Schürrle, Shkodran Mustafi und Roman Weidenfeller mitbekam. In gebückter Haltung schlichen sie auf die Bühne und machten klar, dass so die „Gauchos“ gehen, um anschließend hüpfend zu zeigen, wie die Deutschen gehen. ‚Das muss nicht‘, dachte ich und hatte ein schlechtes Gefühl, als dann auch noch das Publikum animiert wurde, mitzusingen.

Da ist zunächst der Begriff „Gaucho“, der ins Auge springt und meines Spontanwissens in etwa dem Begriff „Cowboy“ entspricht. (Wikipedia sagt: Gauchos sind „vorwiegend Nachkommen von iberischen Einwanderern und Indios, die in den Pampas Viehzucht betreiben.“). Gaucho ist also je nach Blick des Betrachters keine per se herabwürdigende Bezeichnung, jedoch steckt die Herabwürdigung immer auch schon in der Generalisierung. Ich vermute der Begriff wurde in erster Linie des Versmaßes wegen gewählt und die möglichen Konsequenzen in Kauf genommen. Ein unnötiger hoher Preis.

Das Zweite woran man sich stoßen kann ist das explizite Hervorheben der Schmach des Unterlegenen. Klar, wenn man Weltmeister ist, darf man sich darüber freuen und jeder, der kurz darüber nachdenkt wird wissen, dass Weltmeister sein bedeutet, dass andere verloren haben. Doch während die Freude über die Leistung des Siegers gemeinhin akzeptiert wird oder akzeptiert werden muss, sonst bräuchte man keine Weltmeisterschaft, ist das verbale Nachtreten auf den unterlegenen Gegner eher unfein und impliziert eine gewisse Häme. Die Aussage ist dann nicht mehr „Wir sind gut.“ oder „Wir sind die Besten“, sondern „Wir sind besser als ihr“.

Das Problem ist, dass hier Fremdschämen zum Selbstschämen wird, denn die Nation ist sich vordergründig einig, dass wir alle Weltmeister geworden sind, so unsinnig dieses Konstrukt bei technischer Betrachtung auch sein mag. Wenn man das so empfindet, hat man aber auch gemeinsam den Gauchotanz getanzt und dafür schäme ich mich, ich Weltmeister.

Natürlich ist der Tanz keine geplante Machtdemonstration, sondern ein spontaner Ausdruck der Freude und ein Unterhaltungspunkt, den sich die Spieler auf dem Heimflug ausgedacht haben oder womöglich ausdenken mussten. Und dieser scheint tatsächlich auch von den beteiligten Spielern selbst zu stammen und nicht von eigens angeheuerten PR-Beratern und Choreographen, wie ich es eigentlich gedacht hätte. Insofern muss man den Tanz nicht überhöhen, sondern ist eine spontane Dummheit wie der Kopfballrückpass von Kroos, also ärgerlich und folgenlos, man kann die Kirche im Dorf lassen, denn niemand ist perfekt. Aber je nach Betrachter könnte es sich auch um eine „spontane Dummheit“ handeln wie Juan Zunigas Tritt gegen Neymar, der Fussballnationen entzweit.

Als ich gestern nebenher die Übertragung von der Fanmeile sah, schreckte ich kurz auf, als ich den Gaucho-Tanz mitbekam… ‚blöd, ziemlich blöd‘ dachte ich, ‚doch passiert ist passiert‘. Man macht eben Dummheiten, schämt sich dafür und hofft, es in Zukunft besser zu machen.

Nachtrag (18:19 Uhr):

Gerade habe ich noch einen Hinweis auf einen Artikel von Stefan Niggemeier über die Feierlichkeiten bei der EM 2008 bekommen. Anscheinend ist das Lied nicht wirklich neu, aber vielleicht kann man so etwas auch besser machen, wenn man das Finale verloren hat. Dann hat es zumindest etwas mehr Selbstironie…

 

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2 Antworten

  1. Julia sagt:

    Zum Nachtrag:
    Das Lied ist überhaupt nicht neu, sondern ein sehr häufig und in diversen Sportarten genutzter Fangesang. Ich selbst kenne das beispielsweise auch noch aus dem Eishockey.

    Ich finde das sollte noch mal gesagt werden, denn das verleiht der Debatte noch einmal einen anderen Charakter.

  2. Aerar sagt:

    Prinzipiell hast du wahrscheinlich recht und Sport besteht nunmal aus Rivalität und neben Freude gehört auch Schadenfreude dazu. Das zeigen unzählige Fangesänge und Choreographien.

    Allerdings ist der Auftritt am Brandenburger Tor auch etwas problematischer. Zum Einen kam das Lied nicht von den Fans, sondern von der Mannschaft. Zum Anderen war der Auftritt dort quasi die offizielle Abschlusskundgebung, die weltweit von Millionen beachtet wurde. Und darunter sind nunmal auch viele, die die liebevoll-bösartigen Gepflogenheiten nicht so gewöhnt sind und den Gesang deshalb in den falschen Hals bekommen oder auch bekommen wollen. Darum war das Gaucho-Lied auf dieser Bühne in meinen Augen eine schlechte Wahl. Denn gerade weil die deutsche Mannschaft bei der WM nicht nur gut gespielt hat, sondern sich auch bemüht hat „fair und sportsmännisch“ aufzutreten, ist so ein Auftritt das Haar in der Suppe, auf das sich jeder stürzen kann, der eines sucht.

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