Wer Visionen hat, sollte nicht die Parteien fragen

In Deutschland gibt es, wie in jedem anderen Land auch, zahlreiche Probleme und ungelöste Fragen, die die Bürger des Landes beschäftigen. Dies sind Themen wie etwa die Flüchtlingspolitik, der Mindestlohn oder die Frage nach der Alterssicherung, um nur einige zu nennen. Dabei kursieren zu einigen dieser Fragen durchaus zumindest oberflächlich einfache und vernünftig klingende Lösungsvorschläge, deren Umsetzbarkeit und Praktikabilität für den Einzelnen jedoch nur schwer zu beurteilen ist.

Ein Beispiel für eine solche Lösung ist das Bürgergeld oder besser gesagt das bedingungslose Grundeinkommen. Dieses Thema gewinnt nach meiner Beobachtung in den letzten Jahren immer mehr öffentliche Beachtung. So gab es etwa gestern abend eine Sendung im ZDF zu diesem Thema und auch der Wahl-O-Mat hat das Thema bereits im Fragenkatalog: „37/38 Bedingungsloses Grundeinkommen“. Dabei gibt es mehrere Fragekomplexe, die sich zu diesem speziellen Thema ergeben etwa:

  • Die ethisch-moralische Frage, ob es „fair“ oder „verdient“ ist, ein bedingungsloses Grundeinkommen zu zahlen
  • Die geschaftlichlich-wirtschaftliche Frage, ob die Zahlung eines solchen Grundeinkommens (oder ähnliche Maßnahmen) im Zuge der Automatisierung und Digitalisierung des Arbeitsmarkts eventuell sogar dringend erforderlich sind
  • Die arbeitsmoralisch-markwirtschaftliche Frage, welchen positiven oder negativen Einfluss ein solches Grundeinkommen auf den Arbeitsmarkt haben würde
  • Die haushaltstechnische Frage, ob und wie solch ein Grundeinkommen überhaupt finanzierbar wäre

Während die erste Frage als Ausdruck einer persönlichen Einstellung vielleicht noch jeder für sich alleine beantworten kann, benötigen die anderen Fragen ein tieferes Verständnis von gesellschaftlichen und ökonomischen Sachverhalten, die ein normaler Bürger üblicherweise nicht hat. Zwar kann er versuchen, das Thema mit seinem gesunden Menschenverstand zu ergründen, wie ich es selber in der Vergangenheit mehrfach versucht habe. Richtig belastbar sind solche Ergebnisse jedoch nicht. Auch die möglicherweise fundierteren Ergebnisse einzelner Experten (Unternimm die Zukunft, Bedingsloses Grundeinkommen ist eine Investion, Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre das Ende des Sozialstaates, Das Grundeinkommen ist nichts anderes als eine Steuerreform) liefern nur Anhaltspunkte und verlieren sich teilweise in unterschiedlichen Modellen. Worauf ich aber hinaus will, ist dass es zahlreiche ökonomisch und politisch interessierte Menschen gibt, die immerhin versuchen, das Thema im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erfassen. Darüber hinaus gibt es zudem ungleich mehr Menschen, die das Thema nicht diskutieren wollen oder diskutieren können, weil sie glauben die notwendigen Fakten nicht zu kennen.

Während zahlreiche Einzelpersonen sich mehr oder weniger gut bemühen, eine fundierte Analyse für oder gegen das Bedingslose Grundeinkommen zu erstellen, bleiben die Regierung und auch die einzelnen Parteien, deren eigentliche Profession es ist, solche Fragen zu behandeln,  diese Analyse schuldig. Ich würde mir wünschen, wenn die Parteien, die ich wählen soll, eine verständliche Zusammenfassung liefern würden, die zeigt, dass sie sich mit dem Problem auseinandergesetzt haben, zu welchem Ergebnis sie dabei gekommen sind und mit welcher Begründung. Eine solche Analyse müsste nicht für jedes Randthema erfolgen, aber eben doch zu den wichtigen Kernthemen. Eine Analyse die zeigt, dass die Parteien ein konkretes Problembewusstsein und auch Zukunftsvisionen haben (oder gegebenenfalls aus bestimmten Gründen nicht haben).

Das Problem ist nur, dass große Visionen und Veränderungen für Parteien gefährlich sein können. So gab es etwa einmal eine Partei, die eine solche Zukunftsvision hatte, nämlich die CDU unter Angela Merkel, als sie eine radikale Steuervereinfachung, die sogenannte „Steuerklärung auf dem Bierdeckel“, propagierte. Diese wurde jedoch, wie ich persönlich finde, allein aus wahltaktischen Gründen von der SPD unter Gerhard Schröder bekämpft und letztlich und nicht zuletzt zu Lasten der Bürger verhindert. Aber auch Schröder selbst hatte durchaus Visionen mit seiner Agenda 2010. Diese hat er sogar durchgesetzt, was ihn allerdings im Anschluss zu wesentlichen Teilen seine Wiederwahl gekostet hat. Umso mehr muss die Politik lernen, Visionen ergebnisoffen zu entwickeln und gemeinsam zu diskutieren und nicht aus reiner Blockadehaltung notwendige Reformen solange aufzuschieben, dass am Ende die Bürger die Leidtragenden sind.

Nachtrag (16:23 Uhr):

  1. Es scheint zumindest doch so zu sein, dass es Positionen der Parteien zum Bürgergeld gibt. Leider habe ich trotzdem noch keine Analyse gefunden, die nennenswert über die ethisch-moralische Frage hinaus geht.
  2. Interessanterweise scheint die CDU 2006 ein Bedingungsloses Grundeinkommen ernsthaft geplant zu haben. Ausbremst wurde sie dabei vom Koalitionspartner SPD. Damit werden mir die Sozialdemokraten nicht sympatischer.

 

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