Nachverhandeln

Die Sondierungsgespräche von Union und SPD waren immerhin in dem Maße erfolgreich als die Verhandlungsführer überhaupt eine Einigung erzielt haben. Wenn man jedoch auf die konkreten Einigungsergebnisse schaut, sieht das Ergebnis dann doch eher ernüchternd aus. Als einziges tiefergehendes Problem wurde die Frage der Neuwanderung und des Familiennachzugs geregelt. Dies aber letztlich nur durch eine Zielvorgabe von circa 200.000 maximal gewünschten Flüchtlingen und einer Übergangsregelung für den Familiennachzug. Ansonsten werden hier und dort ein paar Milliarden für Bildung oder gegen Arbeitslosigkeit investiert. Über Kindergeld, Solidaritätszuschlag, Rente und Krankenversicherungsbeiträge wird in Maßen entlastet. Wenn ansonsten eine Frauenquote im öffentlichen Dienst und eine Reduzierung von Glyphosat im Fokus der Sonderierungsergebnisse stehen, dann ahnt man bereits, dass der große Wurf in den Vehandlungen wohl nicht erreicht wurde. Dem Programm fehlt es an Visionen, vorhandene Probleme grundsätzlich anzugehen und die Zeichen stehen insgesamt eher auf dem „Weiter so“, das die Großkoalitionäre so gern von sich schieben würden.

Wenn dann ein Herr Dobrindt von der CSU noch aus welchen Gründen auch immer gegen die SPD-internen Probleme mit den möglichen Koalitionsverhandlungen stichelt, könnte dies durchaus ein Spiel mit dem Feuer sein. Denn in der Tat steht die Basis der SPD in großen Teilen der Großen Koalition an sich kritisch gegenüber und die Ergebnisse der Verhandlungen scheinen wenig geeignet, diese Haltung merklich zu ändern. Ob der SPD-Sonderparteitag am Sonntag der Aufnahme der Koalitionsverhandlungen zustimmen wird, scheint daher auch noch nicht sicher. Viele Stimmen sprechen von einem knappen Ergebnis mit einer klaren Tendenz für die „vernünftige“ Lösung. Eine Situation also wie sie vor der Brexit-Abstimmung und der Präsidentenwahl in den USA ebenfalls vorherrschte.

Man könnte jetzt entspannt das Popcorn aus dem Schrank holen und sich das mögliche Desaster am kommenden Wochende mit schöner Sensationslust anschauen, wäre die Lage nicht so traurig und langfristig fatal. Denn zur Entscheidung steht eine weitere Vierjahresperiode, die vermutlich sehr kraftlos ausfallen wird und die Politikverdrossenheit im Lande eher weiter mehren wird. Oder aber Neuwahlen, die mutmaßlich in der Summe das gleiche Ergebnis bringen werden, nämlich einer Regierung der Unionsparteien mit irgendwie gearteten Partnern, die vermutlich die gleichen sein werden, die auch jetzt schon mit der Union verhandelt haben. Eventuell wird es bei den großen Parteien weitere Prozentverluste geben, vielleicht werden sogar in der Folge Personen getauscht, hier stehen nicht zuletzt die Parteiführer selbst zur Disposition. Doch ein Umlenken auf eine nachhaltigere und bürgernähere Politik ist nicht zu erwarten, dazu hätte das letzte Wahlergebnis bereits ausreichen sollen. Bliebe als dritter Weg eine Minderheitsregierung. Ein Experiment, von dem nicht klar ist, ob es den Politikbetrieb innovativer und zielorientierter machen wird oder die politische Entscheidungsfindung durch ein kleinliches Geschacher um Positionen ausbremsen wird. Im Ergebnis bleibt also ein klassisches Trilemma, bei dem Popcorn alleine auch nicht helfen werden kann.

 

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