Verfassungsfeindlich ?

In einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kritisiert Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts und stellt dabei in meinen Augen auch die grundsätzliche Rolle des Gerichts in Frage:

„In der Tat muss man sich fragen, wie weit das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung gehen kann. Ich habe zum Beispiel verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Verfassungsgericht wirklich entscheiden sollte, für welche Straftaten man welches Instrument gesetzlich vorsehen kann oder nicht. In der einstweiligen Anordnung zur Vorratsdatenspeicherung hat es das getan. Es ist doch Sache des Gesetzgebers, zu sagen: Für diese Straftat kann ich dieses Instrument einsetzen – für jene nicht.“

Und es ist Sache des Bundesverfassungsgerichts darüber zu entscheiden, ob sich diese Gesetze auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Und insbesondere kann „ich“ als Gesetzgeber diese Instrumente nicht einsetzen – hierfür gibt es die Exekutive. Möglicherweise handelt es sich um einen Freud’schen Versprecher?

„Solche Linien kann nur der demokratisch legitimierte Gesetzgeber ziehen.“

Sofern er dabei nicht das Grundgesetz verletzt.

„Den einmaligen Kompetenzen des Verfassungsgerichts entsprechen eine ganz hohe Verantwortung und auch ein hohes Maß an Zurückhaltung mit öffentlichen Äußerungen. Da haben Politiker eine ganz andere Legitimation. Wir müssen in der öffentlichen Debatte ständig Position beziehen. Verfassungsrichter müssen Anspruch auf Respekt haben. Wer Gesetze gestalten will, sollte sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden.“

Das eben ist ein Teil der Gewaltenteilung.

Die Große Koalition hat während ihrer Amtszeit versucht, eine Reihe von Gesetzen zur Überwachung einzuführen, die meiner Meinung nach weder in Einklang noch im Verhältnis zu den Beschneidungen der freiheitlichen Rechte, wie sie das Grundgesetz garantiert, gestanden haben. Daher bin ich froh, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Auswüchsen als letzte Instanz einen Riegel vorgeschoben hat. Gewissermaßen konnte mir so paradoxerweise allein das Bundesverfassungsgericht in diesen Fällen das Vertrauen in Legislative überhaupt bewahren. Die Aufregung sollte sich daher in keinem Fall gegen das Gericht richten, sondern gegen die Verantwortlichen im Bundestag, die sich erdreistet haben, mit derartigen Vorstößen ihre Grenzen auszuloten und Stück für Stück zu versuchen diese zu verschieben. Nicht unerwähnt bleiben sollte dabei, dass dieser Prozeß bereits unter der rot-grünen Koalition begonnen wurde.

Namentlich in der CDU gab es bereits einen Fall, in dem sich ein Bundesminister über das ausdrückliche Gebot des Verfassungsgericht hinwegsetzen wollte. Im September 2007 erklärte Bundesverteidigungsminister Jung, er würde auch Unschuldige in einem Flugzeug abschießen lassen, wenn er einen, das Leben anderer Bürger bedrohenden, Notstand sehen würde. Ein entsprechendes Ermächtigungsgesetz ist allerdings an dem Karlsruher Gericht gescheitert, das darauf hinwies, dass ein Abwägen unschuldiger Leben nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Genau diesen Punkt hat die Große Koalition anscheinend auch aus den Augen verloren und so dem Terrorismus ungewollt in die Hände gespielt, indem sie ein Klima der Einschränkung, der Überwachung und des Misstrauens befördert hat, in dem die Rechte des Einzelnen keinen großen Wert beibemessen bekommen. Abgesehen von immensen Kosten gibt die Regierung so die Freiheit und die Lebensqualität seiner Bürger preis, bis am Ende nichts bleibt, was sich noch zu verteidigen lohnte.

Eine Partei, die Ihre herausragenden Führungspersönlichkeiten derart unwidersprochen das Bundesverfassungsgericht als Bestandteil und Hüter des Grundgesetzes in Frage stellen lässt, setzt sich in meinen Augen dem Verdacht aus, selbst nicht voll und ganz auf dem Boden desselben zu stehen, was man, wie ich finde, durchaus als verfassungsfeindliches Verhalten interpretieren kann. Ich wüßte gerne, nach welchen Kriterien der Bundesverfassungsschutz Ermittlungen und Überwachung von Parteien oder Personen einleiten muss. Wegen des immensen Gewichts der (noch) größten deutschen Parteien in der großen Koalition, macht ihr Handeln und ihr stiefmütterlicher Umgang mit dem Verfassungsgericht mir deutlich mehr Angst als die derzeit aktiven extremen Parteien.

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