Überwachung – Wo ist das Problem?

Das allgemeine Problembewusstsein an der bekannt gewordenen Totalüberwachung scheint in der Öffentlichkeit weitgehend gering zu sein. Ein guter Weg wäre daher, das Problem in seinem privaten Umfeld zu diskutieren, um dort einen Meinungswandel zu erzielen. Allerdings läuft eine solche Diskussion meist ins Leere, weil es schwer ist, das Problem überhaupt greifbar zu machen. In meinen Augen gibt es zahlreiche Punkte, die das Thema für die meisten Menschen uninteressant und nicht erfassbar macht. Ich will darum versuchen, einige davon kurz anzureißen, denn vielleicht können sie ja helfen, den eigenen Standpunkt und die eigenen Argumente besser herauszuarbeiten:

Abstrakte Gefahr

Für die meisten Menschen handelt es sich letztlich um eine abstrakte Gefahr, zumal bislang ja nichts schlimmes passiert ist. Sicher wäre es schlimm, wenn all die Daten einem neuen Nazi-Staat in die Hände fielen, aber wo sollte dieser denn plötzlich herkommen? Bei abstrakten Gefahren reagieren Menschen häufig gleichgültig, wenn es wahrscheinlich erscheint, am Ende davon kommen zu können. Ein gutes Beispiel dafür sind die Gefahren des Rauchens, die auch die wenigsten Raucher nachhaltig beeindrucken. Insofern sollte man abstrakte Gefahren zwar benennen, aber im wesentlichen konkrete Folgen aufzeigen:

  • Überwachung beeinflusst das Handeln der Überwachten („Schere im Kopf“)
  • Die Möglichkeit der Überwachung selbst fördert totalitäres Handeln
    • besonders gut sichtbar in den USA: „was gemacht werden kann, wird gemacht und Rücksicht auf bestehende Rechte“
    • umgekehrt wird man immer nach Einsatzmöglichkeiten suchen, wenn einem die Werkzeuge zur Verfügung stehen: etwa bei Netzfiltern, die sich zunächst nur gegen Kinderpornographie richten sollen)
  • Klima des Misstrauens
    • Wo überwacht wird entsteht immer ein Klima des Misstrauens und der Angst, weil man dazu neigt, davon auszugehen, dass es eine Gefahrensituation geben muss, wenn überwacht wird (die Maßnahme selbst wird hierbei zur Begründung)
  • Mich wird schon keiner überwachen (ich bin unwichtig, nur andere werden überwacht)
    • Alle Menschen werden überwacht. Ausnahmslos. Durch den Einsatz von Computern ist das technisch problemlos möglich.

Persönlicher Bezug

Die meisten Menschen haben ein Problem damit, wenn ihre Nachbarn alle Ihre Daten einsehen und überwachen können. Wenn es der Staat tut oder ein entfernter ausländischer Geheimdienst ist ein persönlicher Bezug nicht gegeben. Der persönliche Bezug hängt eng zusammen mit dem Punkt „abstrakte Gefahr“.

  • Datenmanipulation
    • Wenn Daten eingesehen werden, können sie leicht fehlinterpretiert werden oder eventuell gar gezielt manipuliert werden
  • Scoringlisten
    • Scoringlisten in der Privatwirtschaft und bei den Geheimdiensten ordnen alle Menschen schon heute nach Gefahrenklassen. Die Folgen sind für jeden schon jetzt unterschiedliche Vertragskonditionen bei Firmen bzw. Kontrollmaßnahmen und Einschränkungen (u.a. Verhaftungen, Einreiseverbote) durch Staaten.

Selber schuld

„Wer überwacht wird ist selber schuld.“, sagen viele. Schließlich kann man selber bestimmen, mit wem man sich einlässt und welche Daten man von sich preisgibt. Genau das aber kann man nicht mehr, wenn diese Daten zweckentfremdet gegen einen verwendet werden. Freiwillige Daten, wie etwa bei Facebook gibt man unter bestimmten Einschränken und sind meist nur an die „Facebook-Freunde“ gerichtet – nicht an den Arbeitgeber und erst recht nicht an die Geheimdienste. Wer Daten bei Facebook und ähnlichen preisgibt, handelt zwar eventuell fahrlässig, was aber keine Rechtfertigung für Abhörmaßnahmen sein kann. Denn das gleiche Argument („Selbst Schuld“) entlastet einen Räuber nicht, wenn sein Opfer nachts allein in einer gefährlichen Gegend unterwegs ist. Doch es ist wichtig zu erkennen, dass die Facebook-Debatte auch ein irre führender Teil der Debatte ist, weil eben auch und gerade Daten abgegriffen werden, von denen man bislang davon ausging, dass diese komplett vertraulich und privat sind. Dazu gehören etwa Email-Daten oder Telefonate. Mittlerweile ist also bereits selber schuld, wer das Internet nutzt oder telefoniert.

  • Facebook ist nicht das Internet (alles wird überwacht)
  • Das Verhalten der Täter wird nicht durch eine eventuelle Fahrlässigkeit der Opfer legimiert

Man kann ohnehin nichts mehr dagegen tun

Mit den Überwachungsmaßnahmen von Prism und Tempora haben die Geheimdienste die Welt vor vollendete Tatsachen gestellt und machen es schwer, diese wieder zurückzudrehen. Dennoch ist es kein Weg, dieses Unrecht einfach hinzunehmen. Die Kampagne des Presse hat gezeigt, dass man ein Problembewusstsein schaffen kann. Wenn dieses groß genug ist, wird dieses auch reale politische Konsequenzen haben – andernfalls werden diejenigen, die die Überwachung befördern, leichtfertig die Opfer ihrer Maßnahmen belächeln können.

  • Problembewusstsein schaffen und Aufklärung im privaten Umfeld betreiben
  • Stimmrecht bei den Wahlen gebrauchen
  • Schuldige identifizieren und Konsequenzen ziehen
    • Niemand ist gezwungen, in Länder wie die USA, England, Australien, Kanada und Neuseeland zu reisen oder Waren von dort zu kaufen

Kosten & Nutzen

Überwachungsmaßnahmen sind von hohen direkten Kosten für Technik und Personal gekennzeichnet. Dazu kommen die Kosten durch Bürokratie und Misstrauen, die als Folge entstehen. Auch wenn sich diese nicht beziffern lassen, werden sie vermutlich um ein Vielfaches höher sein als die direkten Kosten. Dem gegenüber stehen etwa 50 verhinderte Terroranschläge, die zudem noch (da ja schließlich alles geheim ist) von den Geheimdiensten selbst postuliert werden. Letztendlich ist der Nutzen nicht nachprüfbar und augenscheinlich gering. Dazu kommt, dass natürlich gerade diejenigen, die eine Überwachung tatsächlich zu Recht befürchten müssten, leicht Maßnahmen ergreifen können, die ihre Überwachung erschweren oder unmöglich machen.

  • Direkte und indirekte Kosten (sicher in Milliardenhöhe, denkbar sind gar Billionen)
  • Vermutlich geringer und nicht nachprüfbarer Nutzen

Politische Vision

Wem die Debatte um die Überwachung unwichtig erscheint, hat vermutlich eine geringe politische Erwartung. Denn die Debatte berührt einen Kernpunkt der Demokratie, nämlich das Verhältnis von Staat und Bürgern. Wenn dieses von Intransparenz und Misstrauen gegeneinander geprägt ist, kann der Staat nicht mehr seinen Bürgern dienen und der Bürger wird umgekehrt immer weniger bereit sein, dem Staat zu dienen. Die Folge ist ein Gegeneinander wo ein Miteinander sein sollte und es kommt zu einem Stillstand in der Entwicklung eines Landes. Oder sogar zu Rückschritten, wenn etwa die Grundrechte, auf denen das Zusammenspiel zwischen Staat und Bürgern aufgebaut ist, aufgeweicht oder ignoriert wird. Insofern sollte die Debatte zum Anlass genommen werden, das grundlegende Verhältnis von Staat un Bürger zu verbessern und grundlegende praktische Fragen, wie etwa nach dem Sinn und Nutzen der Geheimdienste zu stellen.

  • Die totale Überwachung betrifft das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Bürger

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